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Verfahren Deutschland

Fünf brasilianische Frauen, Angehörige von Todesopfern des Dammbruchs an einer Eisenerzmine des Bergbaukonzerns Vale S.A. in Brumadinho, haben im Oktober 2019 – neun Monate nach dem Einsturz des Damms –  bei der Staatsanwaltschaft München einen Strafantrag gegen TÜV Süd gestellt, deren Tochtergesellschaft in Brasilien, Tüv Süd Bureau de Projetos e Consultoria Ltda. ein Stabilitäts-Gutachten für den Staudamm ausgestellt hatte.

Mit dem Strafantrag fordern sie eine Untersuchung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft von TÜV SÜD, da diese ihre brasilianische Tochtergesellschaft nicht daran gehindert hat, ein Stabilitäts-Gutachten auszustellen, obwohl sie wusste, dass die Sicherheit des Staudamms Córrego do Feijão I weit unter den international geltenden Mindeststandards und der Praxis der Unternehmen Vale S.A. und TÜV selbst lag. Der Strafantrag richtet sich gegen einen Mitarbeiter des TÜV SÜD wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Überschwemmung, fahrlässiger Tötung und Korruption. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben, da es seine Pflicht gewesen wäre zu verhindern, dass aus dem eigenen Betrieb heraus Straftaten begangen werden.

Auch die deutschen Organisationen Misereor und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) haben Strafantrag gestellt.

Im Oktober 2024 sind seit dem Strafantrag fünf Jahre vergangen. Das Ermittlungsverfahren steht kurz vor dem Abschluss. Die deutsche Staatsanwaltschaft muss nun entscheiden, ob sie Anklage erhebt oder das Verfahren einstellt.

 

Nachstehend finden Sie eines der Dokumente aus dem Jahr 2019 mit Fragen und Antworten zu diesem Verfahren.

Sicherheit als Geschäft: Der tödliche Dammbruch in Brumadinho – Oktober 2019

Fragen und Antworten zur Rechtsgrundlage

Warum haben die Betroffenen gemeinsam mit dem ECCHR und MISEREOR in Deutschland Strafantrag gestellt?

Vier Monate bevor der Damm B1 bei Brumadinho brach, hatte das deutsche Prüf- und Zertifizierungsunternehmen TÜV SÜD (AG) mit Hauptsitz in München die Stabilität  des Damms bestätigt. TÜV SÜD hat weltweit Tochterunternehmen, dazu gehört auch die Firma Bureau de Projetos e Consultoria Ltda. in Belo Horizonte (Brasilien). Die Ingenieur*innen dieses Tochterunternehmens stellten die Stabilitätserklärung für den Damm B1 aus. Zudem berichten Zeug*innen, dass sich ein Mitarbeiter von TÜV SÜD aus München regelmäßig in Brasilien aufhielt.

Deutsche Unternehmen tragen nicht nur Verantwortung für ihre direkten Geschäftsbeziehungen, sondern auch für die Aktivitäten ihrer transnationalen Tochterunternehmen. Weil deutsche Staatsbürger*innen und eine deutsche Firma mutmaßlich für den Dammbruch in Brasilien mitverantwortlich sind, fällt die Sache in die Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Darum haben fünf Betroffene am 15. Oktober 2019 gemeinsam mit dem ECCHR und MISEREOR und unterstützt durch die brasilianische Organisation Associação Jangada bei der Staatsanwaltschaft München – am Hauptsitz von TÜV SÜD – eine Straf- und eine Ordnungswidrigkeitenanzeige gegen TÜV SÜD und einen seiner Mitarbeiter erstattet.

Das Ziel der Anzeigen ist es, die strukturellen Ursachen für den Dammbruch in Deutschland und Brasilien juristisch aufzuarbeiten.  Nur so kann verhindert werden, dass sich menschengemachte Katastrophen wie der Dammbruch von Brumadinho wiederholen. Die Anzeige in Deutschland gegen TÜV SÜD soll nicht den brasilianischen Minenbetreiber Vale S.A. aus der Verantwortung entlassen, sondern zu einer vollständigen Aufarbeitung der verschiedenen Verantwortlichkeiten beitragen.

Wie lauten die Vorwürfe gegen TÜV SÜD?

In den Anzeigen werfen fünf Hinterbliebene, das ECCHR und MISEREOR dem TÜV SÜD vor, zum Dammbruch beigetragen zu haben. Trotz offensichtlicher Sicherheitsrisiken verhinderte TÜV SÜD nicht, dass sein brasilianisches Tochterunternehmen die notwendige Stabilitätserklärung ausstellte.  Die Anzeigen richten sich gegen einen Mitarbeiter von TÜV SÜD wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Überschwemmung, fahrlässiger Tötung und Privatbestechung. Dem Unternehmen als solches wird zudem die Verletzung seiner Aufsichtspflicht vorgeworfen – denn TÜV SÜD hätte die Pflicht gehabt zu verhindern, dass aus dem eigenen Betrieb heraus Straftaten begangen werden.

Welche Rolle spielen Zertifizierungsunternehmen wie TÜV SÜD in globalen Lieferketten?

Oft lagern Unternehmen in Hochrisikobranchen wie dem Bergbau die Überprüfung von Sicherheitsstandards an externe Zertifizierungsunternehmen aus. Die Zertifizierer werden dabei von den Unternehmen bezahlt, die sie überprüfen sollen – ein zwangsläufiger Interessenkonflikt. Im Fall des Dammes B1 hat die brasilianische Staatsanwaltschaft bestätigt, dass das Bergbauunternehmen Vale in einigen Fällen Zertifizierungsunternehmen den Auftrag entzogen hat, wenn die Prüfergebnisse nicht im Sinne von Vale waren. Die Verlässlichkeit der Zertifizierungsunternehmen und ihrer Prüfergebnisse sind in Brasilien besonders relevant:  Die Minenbetreiber sind selbst für die Sicherheit der Staudämme zuständig, staatliche Behörden schalten sich nur ein, wenn sie dies für notwendig erachten – und verlassen sich dabei auf die Berichte der Zertifizierer.  Hätte der brasilianische TÜV SÜD die Stabilitätserklärung nicht ausgestellt, hätte das Vale und die brasilianischen Behörden gewarnt. Sie hätten daraufhin Sicherheitsmaßnahmen einleiten können. Dieses System führt zu Lücken in der Verantwortlichkeit, weil sich verschiedene Akteure – wie Vale und TÜV SÜD – gegenseitig die Schuld zuweisen können.

Warum brach der Damm B1 bei Brumadinho?

Der Damm B1 sollte die giftigen Schlämme, die beim Abbau von Eisenerz entstehen, zurückhalten. Der Damm wurde nach der sogenannten Upstream-Methode gebaut. Dabei bildet die oberste Schicht der Schlammrückstände im Damm das Fundament für weitere Schlamm-Aufschüttungen, ohne dass stabilisierende Materialien wie Zement genutzt werden. Upstream-Dämme sind darum kostengünstiger als andere Verfahren, jedoch in vielen Ländern verboten, weil sie als zu instabil gelten.

 In Brasilien sind Upstream-Dämme noch immer weit verbreitet. Auch ein Damm bei Mariana, etwa 130 Kilometer von Brumadinho entfernt, wurde nach der Upstream-Methode gebaut. Im November 2015 brach er mit verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt.

Im Fall Brumadinho hatte das brasilianische Tochterunternehmen von TÜV SÜD schon im März 2018 Probleme mit der Entwässerung des Dammes bemängelt. Doch der Minenbetreiber Vale setzte die von den Prüfer*innen vorgebrachten Verbesserungsmaßnahmen nicht oder nur teilweise um. Darum stieg der Wasseranteil im Damm weiter an, der Druck auf die Dammwand wuchs und es kam zu einer sogenannten Bodenverflüssigung (Liquefaktion) des sonst verfestigten Schlammes – bis der Damm im Januar 2019 schließlich brach.

Warum bestätigte TÜV SÜD die Stabilität des Dammes?

Warum dem Damm die notwendige Stabilitätserklärung ausgestellt wurde, ist weitestgehend Spekulation. Fest steht jedoch: Die Mängel am Damm waren TÜV SÜD und seinem brasilianischen Tochterunternehmen bekannt.  Außerdem setzen die Minenbetreiber in Brasilien die Zertifizierungsunternehmen immer wieder unter Druck. Vale, der Betreiber des Dammes B1, kündigte laut brasilianischer Staatsanwaltschaft die Verträge mit externen Zertifizierern, wenn die geforderten Untersuchungsergebnisse nicht im Sinne des Unternehmens waren. Somit haben Zertifizierungsunternehmen wie TÜV SÜD großes Interesse daran, den Bergbauunternehmen die Ergebnisse zu präsentieren, die diese erwarten.

Wie reagierte TÜV SÜD nach dem Dammbruch?

TÜV SÜD hat den Betroffenen des Dammbruchs sein Beileid bekundet, aber weder Entschädigungen gezahlt noch Verantwortung eingeräumt. Die brasilianische Staatsanwaltschaft hat etwa 13 Millionen Euro aus dem Vermögen von TÜV SÜD eingefroren, um mögliche Schadenersatzforderungen zu begleichen. TÜV SÜD zieht sich darauf zurück, dass seine Tochterfirma die Prüfung des Damms nach brasilianischem Recht korrekt durchgeführt und den Minenbetreiber Vale rechtzeitig über die Sicherheitsmängel informiert habe. Trotzdem hat TÜV SÜD für einige als sicher geltende Dämme inzwischen eine Neueinschätzung vorgelegt und Sicherheitswarnungen ausgesprochen.

Wird auch in Brasilien ermittelt?

In Brasilien ermittelt eine sogenannte Task Force der Staatsanwaltschaft im Bundesstaat Minas Gerais zur Rolle von Vale und der brasilianischen Tochterfirma von TÜV SÜD beim Dammbruch. Vale wurde bereits zu Entschädigungszahlungen, nicht nur für die Todesopfer, sondern auch für die Umweltschäden, verurteilt. Der Minenbetreiber Vale bleibt mitverantwortlich für den Dammbruch, selbst wenn TÜV SÜD in Deutschland ebenfalls verurteilt werden sollte. Die Anzeige gegen TÜV SÜD soll Vale nicht aus der Verantwortung entlassen, sondern für eine vollständige Aufarbeitung der strukturellen Ursachen des Dammbruchs sorgen. Vielmehr soll sie dazu beitragen, die strukturellen Ursachen, die zum Dammbruch geführt haben, vollständig aufzuklären.

Warum fordert das ECCHR neben der Anzeige gegen TÜV SÜD ein deutsches Lieferkettengesetz?

Begeht ein Unternehmen oder seine Mitarbeiter*innen ein Verbrechen, müssen sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Deswegen haben die Betroffenen zusammen mit dem ECCHR und MISEREOR Anzeige gegen TÜV SÜD erstattet.  Die Anzeige soll aber auch zeigen, dass Deutschland ein Lieferkettengesetz braucht.

Zum einen könnte ein solches Gesetz eine Zivilklage der Betroffenen gegen Unternehmen wie den Zertifizierer TÜV SÜD erleichtern. Zum anderen soll ein zukünftiges Lieferkettengesetz präventiv wirken: Unternehmen wären gesetzlich verpflichtet, ihre Geschäftstätigkeiten auf mögliche Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und Maßnahmen zu ergreifen, die Mensch und Umwelt entlang der gesamten Lieferkette – also von der Rohstoffgewinnung bis hin zur Abfallentsorgung – schützen. Das würde auch Unternehmen betreffen, die erst im zweiten oder dritten Schritt eines Produktionskreislaufs tätig werden, so wie im Fall Brumadinho den Zertifizierer TÜV SÜD.

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